Samstag, 1. Oktober 2011

Wie war das doch noch einmal vor 22 Jahren - 2


Also wie war das, sagen wir mal vor 30 oder 40 Jahren. Ein Land, das unbestreitbar nach dem Mauerbau Riesen Fortschritte erzielt hat. Mit der Wirtschaft ging es voran, die Versorgung der Bevölkerung verbesserte sich wesentlich und die Menschen begannen sich einzurichten. Sie sahen auch die Vorteile dieses Gesellschaftssystems und über allem stand: Nie wieder Krieg. Dem ordnete sich viel unter. Der stärker werdende Überwachungsapparat, die immer größer werdende Armee. Die Leute spürten trotzdem Fortschritte. Dann kamen die 70er. Ohne jetzt in die Tiefe zu gehen kann man sagen, bis Mitte der 70er ging es immer irgendwie bergauf. Dann setze wirtschaftlich eine Stagnation ein, mit verursacht durch die Verstaatlichung der letzten Privatunternehmen. Danach gab es keinen Mittelstand mehr, der aber eine hohe Verantwortung bei der Versorgung der Bevölkerung hatte. Die großen Kombinate dünnten eher ihre Produkte aus, als dass sie sie erweiterten. Wirtschaftlich ging es nicht weiter und die Bevölkerung merkte es immer mehr. Hinzu kam noch, dass die politischen Lockerungen nach dem 8. Parteitag, die hauptsächlich von Erich Honecker vorangetrieben wurden, Mitte der 70er zum erliegen kamen. Es wurden u. a. wieder Filme verboten und besonders plakativ war die Biermann-Ausbürgerung für uns. Hier wusste dann auch der letzte Interessierte, was die Stunde geschlagen hatte. Danach klammerte sich eine immer älter werdende Gruppe an die Macht. Sie verstanden zum Teil nicht mehr, was um sie herum passierte. Die Gesellschaft stockte!

Wie wirkt das alles auf junge Menschen? Egal ob sie diesem System positiv oder negativ gegenüber standen, es war frustrierend. Jeder, sobald er seinen ‚Platz‘ in der Gesellschaft gefunden hatte, suchte sich eine Nische. Dort angekommen richtete er sich so gut wie möglich ein. Um ihn herum herrschte ein Status Quo und eine Änderung war nicht absehbar. Wobei gesagt werden muss, dass Ende der 70er immer noch Bewegung in der Gesellschaft erkennbar war. Die endgültige Verstockung, der richtige Frust kam erst in den 80ern. In dieser Zeit begannen auch die gefühlten Ausreisen aus dem persönlichen Umfeld zu steigen. Die gab es vorher auch schon, aber es war alles überschaubar.

Als ich z. B. Mitte der 80er mein Studium abschloss und nach Berlin in mein zweites ‚richtige‘ Arbeitsleben kam, da traf ich auf wirklich kluge und kompetente Leute. Aber fast alle hatten eins gemeinsam, sie waren desillusioniert. Auch wenn man wollte, in dieser Zeit war schon nichts mehr in der Wirtschaft zu bewegen. Man hatte jeden Tag nur noch das Gefühl, Schadensbegrenzung zu leisten. Dann blieben immer mehr kluge Köpfe weg und diese Lücken konnten kaum noch adäquat geschlossen werden.

Was also geht im Kopf junger Leute vor, die vor so einer Zukunft stehen. Bis in die Haarspitzen motiviert, sie wollen was erreichen und dann das. Wegzugehen war in der Tat für den größten Teil der Bevölkerung keine Alternative. Das kann ich auf alle Fälle aus meinem Umfeld so einschätzen.

Was also tut man dann? Z. B. man steht am Zeitungskiosk und holt sich den Sputnik. Unter Gorbatschow gab es in der Sowjetunion Bewegung, die wir für uns erhofften. Oder man las nach den Politbürositzungen die Berichte, um zwischen den Zeilen die Kursänderung hin zur Perestroika zu finden. Wie bekannt, ohne Erfolg.

Das ist also der Stoff, mit der wir in die Jahre 1988/89 gegangen sind.

Mehr später.

[Photo: HGUSM]

Keine Kommentare: