Samstag, 8. Oktober 2011

Wie war das doch noch einmal vor 22 Jahren - 3


Das Jahr 1988 begann spektakulär. Die Mutter meiner Kinder und ich sind zwei Jahre zuvor aus Thüringen weggezogen. Eigentlich mehr geflüchtet. Sie wurde am Rande einer Ausstellung unter dubiosen Behauptungen verhaftet und sollte nach §106 (1), Punkt 1, angeklagt werden. Genauso dubios war die Rückwicklung dieser ganzen Angelegenheit. Eins haben alle Systeme gleich, sie scheuen die Öffentlichkeit. Das war auch ein wesentlicher Schlüssel, um unser Problem zu lösen.
Eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren noch lebhaft vor Augen, haben wir relativ schnell in Thüringen unsere Zelte abgebrochen und sind nach Berlin gezogen. In den Stadtbezirk der heute noch angesagt ist, in den Prenzl-Berg. Genauso wie heute war es ein Ort wo viele junge Leute hingezogen sind. Anders als heute waren es Leute, die nicht mit dem System, aber mit der Staatsführung gebrochen hatten. Dort grab es ein angesagtes kulturelles und politisches Leben, jenseits der offiziellen Berichterstattung. Und es war ein Ort um unter zu tauchen. In den tausenden Hinterhäusern des Arbeiterbezirkes gab es viele leerstehende Wohnungen. Einige waren noch so intakt, dass man darin wohnen konnte. Man zog ein, bezahlte die Miete auf das KWV-Konto und nach einem viertel Jahr ging man zu diesen Damen und Herren. Man überraschte sie mit der Information, man sei dieser, der ständig die Miete überweist und man möchte doch gern einen Mietvertrag haben. Ein wenig schimpfen hier, ein paar Tränen dort und schon hatte man einen Mietvertrag. Für den Rest der Republik völlig undenkbar. Dort zogen wir hin und trafen viele Gleichgesinnte. Der Prenzl-Berg war voll mit solchen Typen wie uns. Ein Schmelztiegel der Kultur und Politik und einer der besten und größten Geheimdienste der Welt konnte relativ wenig dagegen machen. Der Durchsatz war so enorm, dass man eben unter sich war. Dort entstanden Gruppen in oder jenseits der Kirche (Friedensbibliothek) oder sammelten sich Menschen um schillernde Persönlichkeiten (Anderson). Es war ein Traum und dort fühlten wir uns wohl. Wie gesagt, es ging nicht darum das Land zu verlassen. Viele einte die Suche nach Alternativen.
Als wir nach Berlin kamen, fand ich binnen Stunden eine Arbeit. Bei der Mutter meiner Kinder war das schwieriger. Sie war einige Monate arbeitslos. Eine der wenigen in der DDR, aber auch das gab es. Und es fand sich ein Job, der sie interessierte und im wesentlichen bis heute ausfüllt.
Das alles schreibe ich nur, um den Hintergrund ein wenig zu beleuchten. Wie gesagt, das Jahr 1988 begann spektakulär. Im Januar gibt es bis heute die Demo für Karl und Rosa. Zu DDR-Zeiten natürlich ein Event unter ganz anderen Vorzeichen als heute. Die Mutter meiner Kinder frisch im neuen Job und da wollten wir den guten Willen zeigen und dort mal hingehen. War ein Fehler. In diesem Jahr hatte die Gruppe um Stefan Krawczyk ‚etwas’ geplant, was den Sicherheitstypen nicht entgangen war. Dementsprechend war dann die Sicherheitslage allgemein und die Aktion gegen die Gruppe im besonderen. Was da geschah weiß jeder oder kann man nachlesen. Es gibt ja das Internet. Wir also kamen auf dem Weg zur Karl und Rosa-Demo zum Frankfurter Tor. So wie ich damals aussah, mit Lodenmantel und wie auch immer, sind wir in das Beuteschema bestimmter Leute auf diesem Platz gefallen. Man zerrte uns ‚diskret‘ in einen der Säulengänge die es dort gibt und überprüfte uns. Unsere altbekannte Strategie „Öffentlichkeit suchen“ schlug total fehl, weil der gesamte Platz nur von solchen Leutchens ausgefüllt war. Ich war zum ersten Mal erschrocken über die Macht, die dieser Apparat hatte. Nicht wegen der Präsenz Vorort, nein, weil die Herren große Listen hatten, mit vielen Namen. Aus irgend einem Grund standen wir da nicht drauf und konnten gefühlte Tage späte wieder gehen.
Warum erzähl ich das so lang wie breit? Weil unser Leben sich danach wieder einmal total veränderte und nach meiner Einschätzung traf das auf große Teile unseres Landes zu. Wir wurden massiv überprüft. Ich bekam von mir wirklich wohlgesonnen Menschen eine Rückmeldung, wie „Was hast Du denn angestellt? Was hast Du denn ausgefressen? Hier waren mehrere Leute und wollten das und das über Dich wissen.“ Das war damals eigentlich nichts Besonderes, aber nicht in dieser Dichte. Was mich aber getroffen hatte war eigentlich der Fakt, dass gute Freunde ganz oder weniger offiziell den Kontakt zu uns abbrachen. Offiziell die, die den Mut dazu hatten. Andere hatten nur ihre Karriere im Sinn und waren feige noch dazu.
Das war mein Eindruck ab so 1987/88. Da spaltete sich der verbleibende Rest der Gesellschaft. Einige sahen es lockerer, die anderen wurden zum Teil zur Verbissenheit getrieben. Es war ja auch logisch, denn der Laster ‚DDR’ raste immer schneller Richtung Abgrund und es ist den alten Herren oder mindestens den Entscheidungsträgern darunter, ein wenig aufgefallen.
So sah es in Berlin aus. In der Provinz war das alles viel ruhiger und viel mehr unter Kontrolle. Die schimpften erst einmal auf die Berliner und dann viel später dachten sie daran, was zu ändern.

Später mehr!















[Photo Gethsemane-Kirche 08.10.1989: HGUSM]

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