Dienstag, 28. Oktober 2008

"Gier ist das Wesen des Systems"


Die von mir hochgeschätzte Daniela Dahn wurde von der [FR] interviewt. Sie hat wieder wunderbare Denkansätze formuliert. Hier ein längerer Auszug:

Frau Dahn, einige sehen in der aktuellen Krise das Ende des Turbokapitalismus, für andere macht er nur eine Pause. Was meinen Sie?

Wo ist denn die Grenze, vom bösen Turbo zum guten Kapitalismus? Man kann jetzt den Eindruck gewinnen, mit einem besseren internationalen Finanzsystem wäre alles gerettet. Das bezweifle ich. Die Finanzspekulanten bewegten sich zwar abgekoppelt von der Realwirtschaft, aber nicht jenseits unserer allgemein akzeptierten Lebensweise. Im Gegenteil, sie verkörpern die Kultur, die sich durchgesetzt hat. Die Gier ist kein Auswuchs, sondern Wesen, ja Existenzbedingung des Systems. Am Grundsatz der Profitmaximierung wird sich so schnell nichts ändern.

Wie kann der Staat der Gier begegnen?

Sehen Sie, wie selbst die Schweden entgegen der Tradition des Skandinavischen Modells ihre Banken retten. Der Staat übernimmt Kreditgarantien und gründet einen Stabilitätsfonds, dafür müssen die Banken dem Staat eine Gebühr bezahlen. Doch für die Bankaktionäre wird kein Verzicht auf Dividende gefordert. Die Manager müssen nun überall zur Strafe ihre Gehälter senken. Denen wird vorgeführt, dass sie in Wahrheit gar nicht die Mächtigen sind. Das bleiben die, von deren Renditeforderungen sie schon lange vor sich hergetrieben worden sind: die Aktionäre. Doch von Eingriffen ins Aktionärsgesetz ist nichts zu hören. Wenn die Politik jetzt nicht couragiert über die Verfügungsgewalt des Eigentums nachdenkt, bleibt alles beim Alten.

Also tragen eigentlich die Aktionäre die Hauptschuld am Crash? Ist das nicht ein bisschen einfach?

Aktionäre, Manager und Politiker sind sicher die drei Hauptsünder, aber der schwarze Peter bleibt letztlich bei der Politik. Sie hat sich von der Wirtschaft korrumpieren lassen. Sie hat all die Gesetze verabschiedet, die jetzt an den Abgrund geführt haben und keine Hindernisse aufgestellt.
Doch wir müssen uns auch bewusst machen, dass die Politik in einer Demokratie eigentlich nur machen kann, was der Souverän ihr erlaubt. Insofern ist es wenig hilfreich, jetzt nach einzelnen Sündenböcken zu suchen und zu rufen: Ich war's nicht, der Alan Greenspan ist's gewesen. Natürlich ist der Einfluss des einzelnen Bürgers oft unerträglich begrenzt. Aber alle, die sich gutgläubig Zertifikate haben aufschwatzen lassen, die neoliberale Parteien gewählt haben, statt in die Gewerkschaft einzutreten und sich aufzulehnen, tragen ein Stückchen Verantwortung mit.

Sie haben stets die Privatisierung öffentlicher Belange kritisiert. Nun sehen wir eine Gegenbewegung: Banken werden verstaatlicht. Ein erster Schritt in die richtige Richtung?

Ich bin zumindest misstrauisch, denn die Spielregeln zur Hilfe haben im Wesentlichen wieder einmal die Banker selbst gemacht. Nicht jede Verstaatlichung ist ja schon eine Sozialisierung. Von Einfluss auf wirklich unternehmerische Entscheidungen habe ich noch nichts gemerkt.
Das Ganze sieht doch sehr nach einem Schutz für Banker von Bürgern aus. Wir werden praktisch in Geiselhaft genommen. Uns wird gesagt, wenn wir dieses Risiko nicht eingehen, unser Geld für den so harmlos klingenden Schutzschirm zu geben, wird es uns noch viel schlechter gehen. Ich kann das nicht beurteilen. Und ich fürchte, dass es eigentlich niemand kann, weil hinter allen Antworten statt Vernunft Interessen stehen.

Wenn das Rezept für eine gesellschaftliche Neuordnung nach der Krise nicht nur "mehr Staat" heißt, was muss noch geschehen?

Turbokapitalismus: In unserer Debatte kommentieren Prominente aus Politik, Wirtschaft und Kultur die Finanzkrise.
Ich habe keine Rezepte, aber jetzt wäre der Zeitpunkt, alle Gewissheiten zu hinterfragen. Was ist so schlecht daran, wenn wir uns eine Zeitlang nicht durch ungedeckte Kredite weiter verschulden? Denn die staatlichen Zusagen sind im Ernstfall ungedeckt, wenn nicht die Druckerpresse angeworfen werden soll.
Sicher, wir müssen dann unseren Konsum einschränken. Aber dass dieser Punkt kommt, sagt uns doch die Klimakatastrophe auch schon lange. Wann, wenn nicht jetzt? Angeblich werden Arbeitsplätze verloren gehen. Bei einer radikalen Arbeitszeitverkürzung nicht unbedingt. Schiebt man einen Baustein, ändert sich die ganze Statik. Aber genau das muss sein. Im privatkapitalistischen Wirtschaftssystem gibt es zu viele Anreize, die dem Gemeinwohl widersprechen. Die Börse stimuliert falsch, sie setzt ohne Vernunft auf kurzfristige Gewinne. Auf das Grundproblem hat bisher niemand eine Antwort: Ohne Wachstum verhungert die Marktwirtschaft, mit Wachstum erstickt sie.

Bietet die Krise wenigstens die Chance, den "gesellschaftlichen Pakt" zwischen Arm und Reich neu auszuhandeln?

Krise ist immer auch Chance, wenn ein großes Nachdenken beginnt. Will man in der klassischen Frage der Umverteilung weiterkommen, müssen wir uns ganz neu fragen, wofür wir unser Geld wirklich ausgeben wollen. Nur ein Beispiel: In den USA haben die 700 Milliarden Dollar für die Banken eine große Erschütterung ausgelöst, während die drei Wochen zuvor verabschiedeten 612 Milliarden Dollar für Rüstung und Kriegsführung ohne Grummeln durchgewunken wurden, so in der FR.

Wunderbare Denkanstöße. Mehr zu Daniela Dahn hier und hier

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