Samstag, 9. November 2013

Wie war das doch noch einmal vor 22 Jahren - 13

Huhu, liebes Blogvolk.

Nach langer Zeit gibt es heute eine Fortsetzung in der Serie ‚Wie war das doch damals ...‘. Natürlich sind diese Ereignisse zwischenzeitlich schon mehr als 22 Jahre her, aber ich quäle mich schon seit einige Tage mit dieser Serie. Nach der Folge 7 bin ich etwas von der zeitlichen Reihenfolge abgewichen. Es gab Gründe hierfür. Genauso gibt es einen Grund, auf diese Zeitschiene wieder aufzuspringen.

Heute vor 24 Jahren liefen die Massen in Berlin, Hauptstadt der DDR, los und kein Zaun, egal wie hoch, konnte sie mehr aufhalten. Ich will in dieser Folge nicht die exakten Ereignisse um den 9.November 89 widerspiegeln. Das machen andere ausführlicher und besser. Hier soll es um meinen persönlichen Blickwinkel gehen. Wie ich die Tage davor und danach sowie die historischen Stunden erlebt habe.


Nach dem ‚Ausreisesommer‘ 1989 wurde die Lage im Land immer schizophrener. Die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag halfen der Partei- und Staatsführung nicht mehr weiter. Ein Zusammenbruch war noch in weiter Ferne, aber der Bedarf, besser Zwang, an Reformen, wuchs jede Stunde. Drei Wochen zuvor erfolgte die Ablösung Erich Honeckers von allen seinen Ämtern und Tage später wurde der Kronprinz Egon Krenz zum Generalsekretär, und was weiß ich noch alles, gewählt. Als junger Ingenieur, der über die verkrusteten Zustände in Politik und Wirtschaft frustriert war, habe ich und viele aus meinem Umfeld, Hoffnung aus dieser Entwicklung gezogen. Nach Jahren der Perestroika in der Sowjetunion, gab es nun auch für uns die Chance, ähnliche Veränderungen zu erleben. Rückblickend weiß ich, dass dafür der Zug der Geschichte längs abgefahren war. Menschen, die schon lange mit der DDR abgeschlossen hatten, waren beim Gehen. Aber nicht alle waren darüber glücklich, denn wir wollten nicht weglaufen, sondern selbst ins Rad der Geschichte greifen. Von den heutigen Geschichtshelden Merkel und Gockel-Gauck war damals nirgends etwas zu sehen. Sie waren aber die Helden, wie man heute weiß.

Wie sah es also konkret aus? Überall in der Republik wurden Wohnungen frei, weil sich die Leute über Ungarn und Prag absetzten. Aber die Mehrheit der Bürger weinte diesen ‚Flüchtlingen‘ kaum Tränen nach und so entstand eine neue Bewegung: Wir bleiben hier. Der Staat begann zu wanken, in den Betrieben fehlten von Woche zu Woche immer mehr wichtige Mitarbeiter und der Druck nach oben stieg. Das Politbüro rief eine Krisensitzung nach der anderen ein. Die Politiker wurden Tag und Nacht von Reportern, auch der sonst so linientreuen Presse, mit kritischen Fragen konfrontiert. Ihre Dünnhäutigkeit konnte man an der Körpersprache und Antworten erkennen. Die Mehrzahl der Entscheidungsträger waren der Lage nicht mehr gewachsen. Das befeuerte noch mehr die Medien, nicht nur die westlichen. Diese haben sich aber in dieser Zeit besonders damit hervorgetan, sich sehr in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen. Ob die heutige BRD das so mit sich machen lassen würde, sei mal so hingestellt. Im Prinzip gab es, bis auf die beschrieben emotional und politisch aufgeputschte Atmosphäre, keinen Hinweis, dass etwas passieren könnte. Schon gar nicht in dieser Dimension. Denn im Nachhinein hat ein damaliger Kollege zu diesen Ereignissen gesagt: Das ist keine Entwicklung mehr, dass ist eine Explosion.

Richtig!

In den Tagen vor dem Mauerfall war ich mit einem westlichen Verwandten, die Mutter meiner Kinder und Kind 1.0 waren bekannterweise dieser Zeit nicht in Berlin, sehr viel in der Zions- (nebst Umweltbibliothek) oder Gethsemanekirche unterwegs und sprachen mit vielen Leuten. Es bildeten sich in der Zeit immer mehr Gruppen und Bewegungen. Alle wollten im weitesten Sinne die Weiterentwicklung der DDR, den legendären Dritten Weg. Keine Fortsetzung des bisherigen Sozialismus, aber auch kein Anschluss oder Beitritt an die BRD. Wir wollten es selber schaffen. Es schwammen in dieser Zeit zu viele Ideale mit. Darauf komme ich in einer späteren Folge dieser Serie noch einmal zu sprechen, wenn es um die Hoffnungen und Chancen nach dem Mauerfall geht.

Dann gab es am 9. November diese wichtige ZK-Tagung. Einer der Tagesordnungspunkte war der Entwurf eines neuen Reisegesetztes, das z. T. genehmigt, aber auch mit mindestens einem Widerspruch durch die Ministerien lief. Es konnte also nicht in Kraft treten, aber Schabowski hat um 18:57 Uhr in der Pressekonferenz zum Stand der Dinge im Land, mit dem Verlesen einer Textpassage, des ihm von Egon Krenz übergebenen Papiers, die Sache in Gang gesetzt. Der Wortlaut, der die DDR ins Reich der Geschichte schoss, ist wie folgt:

„Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“

Dann die ebenfalls legendäre Nachfrage eines Journalisten:

„Wann tritt das in Kraft?“ antwortete Schabowski wörtlich:

„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

Das war sie. Die Explosion!!!


Ich war um diese Zeit auf den Weg in Richtung Studentenclub der HU. Gegen 21:00 Uhr schalteten die Leute hinterm Tresen das Westfernsehen ein. Dort sah ich Momper und Diepgen in trauter Einigkeit weinen. Da wusste ich, hier ist was wichtiges passiert und ging sofort nach Hause. Dort tickerte mich durch die hunderten Fernsehkanäle die wir damals hatten ☺. Es war eindeutig!

Am Grenzübergang Bornholmer war die Sache noch im werden. Am nächsten Morgen auf Arbeit waren alle Kollegen da (so sind wir nun mal ☺) und nach dem Frühstück ging es erst los. Wir nahmen Westberlin ein. Ich traf auf eine fremde Welt, die uns misstrauisch beäugte.

In diesen Stunden hörte die DDR faktisch auf zu existieren. Man hätte sie in den Jahren danach retten und den Dritten Weg gehen können. Das war aber seitens des Westens eindeutig so nicht gewollt.


[zweites Photo: HGUSM]

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